Waldrapp in Umzugskartons
Newsletter 01.12.2021
Nachdem die Überlinger Waldrappe auch weiterhin in ihrem Brutgebiet verharrten und keine Anstalten machten nach Süden abzufliegen, entschlossen wir uns dazu, die Vögel nach Südtirol zu transferieren.
Am 27. November hat Anne-Gabriela Schmalstieg die ersten 18 Vögel auf einem Sportplatz bei Frickingen eingefangen. Am 28. November wurden sie einzeln in Umzugskartons „verpackt“ im Auto über den Reschenpass nach Bozen transferiert und dort am Nachmittag freigelassen.
Gerade die noch junge Überlinger Kolonie wird von vielen Waldrappfreunden und von Journalisten aufmerksam beobachtet. So waren auch beim Fang zwei Filmteams mit dabei. Der Transfer in den Umzugskartons erregte dann auch viel mediales und öffentlichen Aufsehen (BR; BILD).
Diese Medienpräsenz gibt uns die Gelegenheit, die Situation und unsere Maßnahmen in den rechten Kontext zu stellen und damit auch auf eine zunehmende Bedrohung für die Waldrappe und viele andere Zugvogelarten aufmerksam zu machen.
In Überlingen zeigt sich eindrücklich, dass die Auswirkungen des Klimawandels bereits unmittelbar und vielfältig präsent sind. Die zunehmende Variabilität der Wetterbedingungen im Herbst und Frühwinter erschwert den Zugvögeln zunehmend das richtige Timing. Viele Arten, zu denen auch der Waldrapp gehört, synchronisieren den Beginn und den Verlauf des Herbstzuges mit Umweltparametern, und diese Parameter werden zunehmend unzuverlässig. Das führt dazu, dass der Beginn des Herbstzug bei vielen Arten immer mehr variiert und sich immer weiter nach hinten verschiebt, mit dem Risiko, durch einen Wintereinbruch letztlich am Fortkommen gehindert zu werden.
Noch vor wenigen Tagen ist ein einzelner Waldrapp aus der Ostschweiz nach Süden migriert, zeitgleich mit drei Vögel aus Kärnten. Demnach ist die Zugmotivation bei den Waldrappen noch nicht abgeklungen. Wir waren froh, dass die Überlinger Waldrappe nicht auch noch losgeflogen sind, denn die Querung der tiefwinterlichen Zentralalpen ist für die Waldrappe in dieser Saison wohl nicht mehr möglich und ein Versuch hätte zu erheblichen Verlusten führen können. Allerdings gingen wir aus Erfahrung davon ausgehen, dass die Vögel bei einem Transfer an einen Ort südlich des Alpenhauptkammes noch die nötige Zugmotivation zeigen, um zügig weiter nach Süden zu migrieren.
Und damit lagen wir offensichtlich richtig, denn der Großteil der in Bozen freigelassenen Vögel hat bereits die Poebene überflogen und hat die Toskana erreicht. Ob und wie viele Vögel noch vor Ort in Bozen sind, lässt sich derzeit nicht genau einschätzen, denn bei der Mehrzahl der Vögel ist der Solartracker mangels Sonnenlichtes temporär ausgefallen.
Die restlichen 12 Vögel sollen noch diese Woche von Corinna Esterer gefangen und ebenfalls nach Bozen transferiert werden. Damit ist dann auch die Saison in Überlingen abgeschlossen. Und wir sind guten Mutes für die kommende Saison, gehen von einer eigenständigen Rückkehr der Waldrappe nach Überlingen aus und hoffen auch auf einen regulären Start für die nächste Herbstmigration.
Grundsätzlich müssen wir uns aber darauf einstellen, dass das Zugverhalten der Waldrappe wie auch vieler anderer Zugvogelarten immer stärker variiert, mit allen damit verbundenen Risiken. In einer noch jungen Kolonie wie Überlingen ist es begründet, in solchen Fällen einzugreifen, um Verluste ach Möglichkeit zu verhindern. In einigen Jahren muss in solchen Fällen aber auch die Überlinger Kolonie selbst zurechtkommen und wir sind zuversichtlich, dass das dann auch der Fall sein wird. Waldrappe erweisen sich immer wieder als Überlebenskünstler und auch Modellierungen liefern für diese Waldrapp-Population positive Prognosen trotz zunehmender Risiken durch den Klimawandel.
Foto: Freilassung der 18 Waldrappe in Bozen, Südtirol.