Spät und spannend: die Herbstmigration ist in vollem Gange
Newsletter 31.10.2021
Der Trend der vergangenen Jahre zu einem immer späteren Abflug der Vögel aus den Brutgebieten hat sich auch in diesem Jahr fortgesetzt. Die Vögel verließen zwar wie jedes Jahr mit Anfang August die Brutplätze. Das ist der eigentliche Auftakt für die Herbstmigration. Aber dann sammeln sie sich, suchen reichhaltige Nahrungsflächen auf und bleiben dort über Wochen.
Aber irgendwann, von einem Tag auf den anderen, fliegen die Waldrappe dann los Richtung Süden. Dabei können wir immer wieder ein faszinierendes Phänomen beobachten. Gruppen an verschiedenen, viele Kilometer voneinander entfernten Orten, starten am selben Tag los. Der Abflug scheint überregional durch dieselben Umweltparameter ausgelöst zu werden. Welche das sind, ist schwer festzumachen. Da aber der Trend zu immer späteren Abflügen zu beobachten ist, liegt die Vermutung nahe, dass es sich um klimarelevante Parameter handelt, die sich aufgrund des aktuellen Klimawandels ändern.
Am vergangenen Sonntag, dem 24. Oktober, war es endlich so weit. Vögel der gemischten Gruppe aus den Brutkolonien Burghausen und Kuchl, die sich nördlich der Alpen aufhielten, und Vögel der Rosegger Brutkolonie vom Alpensüdrand brachen am selben Tag auf.
Und der Tag bescherte uns ein großes Highlight. Gleich 22 Vögel aus Salzburg, davon 14 Jungvögel, querten an diesem Tag die Alpen. Noch nie zuvor war eine so große Gruppe von Waldrappen gemeinsam am Weg. Die Vögel flogen eine Route durch das obere Salzachtal und weiter bis ans südliche Ende des Krimmeltals, wo sie über einen 2.500 Meter hohen Pass nach Südtirol gelangten. Dort führt der Weg an den Dolomiten vorbei in die Poebene.
Am 27. Oktober erreichte der Großteil dieser Vögel das Wintergebiet. Ein Jungvogel verlor in Norditalien den Anschuss blieb seitdem dort. Weitere fünf Jungvögel wurden am Apennin von der Gruppe getrennt. Sie flogen ohne Leitvogel weiter nach Süden, leider knapp am Wintergebiet vorbei. Derzeit sind sie auf der Höhe von Rom.
Das Abtrennen von Jungvögeln während der Migration ist ein bekanntes Phänomen, das auch maßgeblich zum Aussterben der syrischen Reliktpopulation beigetragen hat, da die unerfahrenen Vögel außerhalb der Kolonie nur wenig Überlebenschance haben. Wir gehen aber davon aus, dass in unserer Population abgetrennte Jungvögel mit zunehmender Populationsgröße immer öfter wieder Anschuss finden und so das Wintergebiet erreichen. Einstweilen versuchen wir diesen verirrten Jungvögeln aber dadurch zu helfen, dass wir an ihrem Aufenthaltsort zugerfahrene Vögel freilassen, denen sie sich dann hoffentlich anschließen und so in das Wintergebiet gelangen.
Auch aus der Rosegger Brutkolonie sind inzwischen 13 Jungvögel mit und drei erwachsene Leitvögel im Wintergebiet angekommen. Das ist für diese jüngste Kolonie in unserem Projekt ein großartiger Erfolg.
Bei den Vögeln der Kolonie in Überlingen am Bodensee ist dagegen noch Geduld gefordert. Alle 31 Tiere sind noch vor Ort. Zur Zeit ist in der Gegend häufig Bodennebel und wir vermuten, dass diese Sichtbehinderung die Vögel bislang am Abflug gehindert hat. Lange kann es aber auch dort nicht mehr dauern.
Abbildung: Flugroute der Gruppe aus Salzburg, durch das Salzachtal und das Krimmeltal nach Südtirol. Die rund 750 km bis in das Wintergebiet WWF Oasi Laguna di Orbetello wurden in vier Tagen geflogen.