Herbstmigration – die Direttissima-Navigation
Newsletter 14.10.2021
Der Abflug der Waldrappe in den Süden lässt in diesem Jahr noch auf sich warten. Die Vögel haben wohl überall ihre Brutplätze verlassen. Aber sie halten sich nach wie vor auf offenbar immer noch sehr reichhaltigen Nahrungsflächen im Umfeld auf. Außerordentlich ist das nicht, auch in vergangenen Jahren hat sich der Abflug teils bis Oktober oder gar November hinausgezögert.
Die Gruppe der Herbstmigranten umfasst in diesem Jahr 109 Tiere, aufgeteilt auf die Brutgebiete Burghausen und Kuchl (53; Bayern), Überlingen (31; Baden-Württemberg) und Rosegg (25; Kärnten). Davon sind 51 Individuen Jungvögel, die entweder in den Brutgebieten aufgewachsen sind oder in Rosegg ausgewildert wurden.
Die Routen der Vögel bei den Migrationsflügen variieren. Aber ein gemeinsames Muster ist zu erkennen. Die Vögel orientieren sich offenbar in der Regel direkt an ihrem Zielort, im Herbst das Wintergebiet und im Frühjahr eines der Brutgebiete – bevorzugen sozusagen eine Direttissima-Navigation. Dabei nehmen die Vögel offenbar auch auf große Distanz sehr präzise wahr ob und wie direkt sie sich auf den Zielort zubewegen. Nicht immer ist dieser direkte Kurs möglich, insbesondere im Gebirge, und natürlich können die aktuellen Wetterbedingungen einen Umweg verursachen, das kennt jeder Pilot nur zu gut.
Aber eine zunehmende Zahl an Einzelbeobachtungen legt inzwischen diese Interpretation nahe. Eine aktuelle Beobachtung ist der etwas außergewöhnliche aber sehr spannende Flug des Männchens Akuma aus der Überlinger Kolonie, den wir anhand der GPS Daten rekonstruieren können.
Akuma hat sich länger im Ostern der Schweiz aufgehalten und ist schon am 18. September dieses Jahres östlich am Mont-Blanc Massiv vorbei in den Süden geflogen. Ab Turin folgte er zielstrebig der direkten Route in Richtung des Wintergebietes, wobei er bei Savona auf die Meeresküste traf. Gewöhnlich meiden die Waldrappe offenen Wasserflächen, aber Akuma flog weiter. Die aufeinanderfolgenden GPS-Positionen während des Fluges über das Mittelmeer zeigen in faszinierender Weise, wie der Vogel anfangs offenbar westlich abgedriftet ist aber seinen Kurs in Bezug auf das Wintergebiet dann immer präziser justieren konnte. Nach gut 100 km, etwa einem Drittel der Strecke, kehrte er dann um, vermutlich ermüdete ihn der beständige Aktivflug, denn über Wasser gibt es keine Thermik.
Er flog nun aber nicht dieselbe Route, retour Richtung NW, sondern folgte geradlinig einem direkten Nordkurs, der spannender Weise in der Verlängerungen genau in sein Brutgebiet in Überlingen führt – also eine Direttissima Navigation in die „verkehrte“ Richtung. Südlich von Mailand machte er dann mehrere Tage Pause. Von dieser neuen Position aus führte wiederum die direkte Route Richtung Wintergebiet gänzlich über Land. Genau diesem Kurs folgte Akuma schließlich zielstrebig und erreichte am 8. Oktober das WWF Schutzgebiet Laguna di Orbetello. Der Vogel liefert somit ein beeindruckendes Beispiel für die Präzision und Flexibilität des Navigationsvermögens dieser Zugvögel.
Abbildung: Auszug aus den GPS Daten von Akuma im Herbst 2021. Von Savona aus flog Akuma auf das offene Meer hinaus, was für Waldrappe relativ ungewöhnlich ist. Dabei ist er offenbar anfangs nach Westen abgedriftet, hat aber seinen Kurs immer präziser Richtung Wintergebiet justieren können. Schließlich flog er einen direkten Nordkurs retour, der in der Verlängerung in sein Brutgebiet führt. Südlich von Mailand pausierte er einige Tage und folgte schließlich dem direkten Kurs in das Wintergebiet.