Spannende Verhaltensmuster bei der Frühjahrsmigration
Newsletter 07.04.2021
Nachdem Ende März eine Kaltfront die Waldrappe gebremst hat, verläuft nun mit steigenden Temperaturen die Frühjahrsmigration umso rascher. In Burghausen sind inzwischen neun Vögel angekommen, in Kuchl acht und in Überlingen zwei. Zahlreiche weitere Waldrappe sind am Weg nach Norden, ihre Flüge können auf der App Animal Tracker mitverfolgt werden.
Seit mehreren Jahren gesellen sich mit Beginn der Brutzeit zu den beiden östlichen Brutkolonien Burghausen und Kuchl eine zunehmende Anzahl von Tieren der im Freiflug gehaltenen Walrapp-Kolonie der Konrad-Lorenz Forschungsstelle Grünau. Diese Vögel machen quasi eine Miniatur-Migration von Oberösterreich nach Salzburg bzw. Bayern. Bislang sind aus Grünau vier Waldrappe in Burghausen angekommen und drei in Kuchl. In den Brutgebieten kommt es dann zu gemischten Brutpaaren. Das führt im Herbst zur Zugzeit zu einer spannenden Situation, denn die Vögel der Konrad-Lorenz Forschungsstelle kehren in der Regel im Herbst nach Grünau in Oberösterreich zurück. Manche Jungvögel folgen dorthin, andere fliegen mit in die Toskana.
Die Frühjahrsmigration verläuft in der Regel sehr zielstrebig. Die Vögel folgen einem direkten Kurs in Richtung ihres Brutgebietes. Erst in den Alpen weichen sie von diesem direkten Kurs ab um Barrieren zu umfliegen und eine geeignete Route über das Gebirge zu finden. Für die Vögel der beiden östlichen Kolonien Burghausen und Kuchl verläuft der direkte Kurs in Richtung N/NO. Sie queren die Alpen auf Routen durch Südtirol, Osttirol oder Kärnten. Seit 2019 migriert einen zunehmende Anzahl von Walrappen auch nach Überlingen am Bodensee. Ihre Route verläuft in Richtung N/NW und sie queren die Alpen meist im Schweizer Kanton Wallis. Somit konnten erstmals mit Hilfe der menschengeführten Migration zwei getrennte Zugkorridore gegründet werden. Das ist ein wichtiger Erfolg, der es ermöglicht auch komplexere Zugmuster im Rahmen von Wiederansiedlungen nachzubilden.
Eine ganz besonders spannende Konstellation ergibt sich, wenn im Frühjahr gemischte Gruppen mit Vögeln der westlichen und östlichen Brutkolonien gemeinsam aus der Toskana abfliegen. Eine solcher Fall trat ein, als am 26. März zwei Vögel aus Überlingen (Zoppo und Enea) und zwei aus Burghausen (Adele und Jojo) gemeinsam losflogen. Die vier Vögel folgten keinem der beiden Zugkorridore sondern flogen geradlinig nach Norden, auf einem intermediären Kurs zwischen den beiden Korridoren. Erst nördlich des Alpenhauptkammes im Inntal trennten sich die Vögel. Ab dann flogen sie zielstrebig in ihr jeweiliges Brutgebiet. Zoppo ist inzwischen in Überlingen angekommen, Adele und Jojo in Burghausen. Enea ist noch unterwegs.
Dieses Verhalten, das wir schon 2019 beobachten konnten, hat uns doch einigermaßen überrascht. Es mach den Anschein, dass die Vögel so lange wie möglich zusammenbleiben und gemeinsam migrieren ohne sich für eine der beiden Flugrouten zu entscheiden. So ist der intermediäre Kurs zu erklären. Erst wenn die Richtungen zu den beiden Zielorten allzu weit voneinander abweichen trennt sich die Gruppe und ab dann neben die Vögel zielstrebig Kurz auf ihr eigentliches Ziel. Diese Besonderheit des Zugverhaltens ist nach unseren Kenntnisse bislang für keine andere Vogelart beschreiben worden. Die besonderen Rahmenbedingungen unseres Projekts begünstigen solche Beobachtungen.
Das Verhalten ist auch ein weiterer Beweis für das ausgeprägte Orientierungsvermögen der Waldrappe. Die intermediäre Route führt über ein für alle beteiligten Vögel unbekanntes Gebiet. Aber nach der Trennung der Gruppe scheinen die Vögel problemlos den Kurs zu korrigieren um in ihr eigenes Brutgebiet zu gelangen. Es kommt aber auch vor, dass Vögel im „falschen“ Brutgebiet ankommen. So migrierte im vergangenen Jahr ein Vogel, der in Burghausen aufgewachsen ist, nach Überlingen. Unter welchen Umständen dies passiert schauen wir uns noch genauer an. In jedem Fall ist eine solche Durchmischung wichtig um die genetische Variabilität in der Gruppe zu erhalten.
Abbildung: Flugroute von Adele (in blau) und Zoppo (in rot) während der Frühjahrsmigration zu ihren jeweiligen Brutgebiete im Vergleich zu den klassischen Zugkorridoren (in hell-blau). Karte von Laura Stefani