Ohne Teamplay kein Überleben
Newsletter 22.10.2020
Presseaussendung des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF zum Forschungsprojekt FWF P 30620, das im Rahmen unseres Wiederansiedlungsprojekts durchgeführt wird.
Wenn Zugvögel in Richtung Süden fliegen, ist dies ein eindrucksvolles Beispiel für Kooperationsverhalten, um Kraft und Energie zu sparen. Für die Wissenschaft war es bisher unmöglich, dieses Phänomen in der Natur zu erforschen. Nun gelang es Forschenden, die junge Waldrappen in ihr Winterquartier leiteten, erstmals einen umfangreichen Datensatz zu gewinnen. Dieses Verhalten besser zu verstehen, ist auch mit Blick auf den Klimawandel von grundlegender Bedeutung.
Wer kennt das faszinierende Bild nicht: Zugvögel, die exakt aneinandergereiht in V-Formationen in Richtung Süden fliegen. Dieser Formationsflug ist nicht nur optisch beeindruckend, sondern zudem ein besonderes Beispiel für Kooperationsverhalten im Tierreich. Bisher war eine Annäherung an das Phänomen aber nur über mathematische Modelle und Simulationen möglich. Denn mit wildlebenden Zugvögeln konnten die nötigen empirischen Daten nicht gesammelt werden.
Ein großes europäisches Artenschutzprojekt, das auch aus dem europäischen LIFE-Programm gefördert wurde (LIFE+12-BIO_AT_000143), bietet einen außergewöhnlichen Rahmen für ein Forschungsprojekt, das noch bis Ende 2021 läuft und vom Wissenschaftsfonds FWF finanziert wird.
In den Jahren 2018 und 2019 hat das Forschungsteam mit Hilfe von Ultraleichtflugzeugen zwei Gruppen von Jungvögeln bei deren erster Migration von einer Brutkolonie im deutschen Überlingen am Bodensee zum Winterquartier in die südliche Toskana zur WWF Oasi Laguna di Orbetello geleitet. Das ist notwendig, weil es für diese Jungvögel der Premierenflug ist. Nur so können die in Europa ausgerotteten Waldrappe wieder in freier Wildbahn angesiedelt werden. Außerdem setzt der Klimawandel den Zugvögeln immer stärker zu, weshalb die Erforschung des Migrationsflugs von großer Bedeutung für den europäischen Artenschutz ist. Es wird immer wichtiger werden, das Zugverhalten von Arten exakt modellieren und an die geänderten Umweltbedingungen anpassen zu können.
Eine Schlüsselfunktion nimmt dabei die Kooperationskompetenz zwischen den Individuen ein, wovon das Überleben des einzelnen Vogels ebenso wie das der ganzen Population abhängt. Die erste Migration ist für Jungvögel besonders riskant: Verliert ein junger Waldrapp den Kontakt zur Gruppe und kann sich keiner anderen anschließen, bedeutet dies den sicheren Tod. Dass beim Formationsflug prinzipiell Energie gespart wird, war zwar von theoretischen Modellen her bekannt, nicht aber, wie es funktioniert und wieviel Energie ein Vogel tatsächlich spart. Von der Frage, wie die Daten gesammelt werden bis zur Datenanalyse hat das Team gleich mehrmals Neuland betreten. Mit an Bord sind daher die PhD-Studentinnen Elisa Perinot aus Italien und Ortal Rewald aus Israel sowie Partner von Forschungsinstituten der Veterinärmedizinischen Universität Wien, der Universität Wien, der Fachhochschule Joanneum in Graz und der Universität Bern.
Die exakte Position des Individuums in Relation zu den anderen – fliegt es voraus oder hinterher – ist ein Kernaspekt, um Energieeffizienz zu erforschen. Alle Individuen wurden deshalb mit extraleichten „Datenloggern“ ausgerüstet. Täglich haben die Forschenden die Geräte den Vögeln auf- und abmontiert. „Der Datenlogger übermittelt keine Daten, sondern speichert sie intern ab. Besonders herausfordernd war für uns, die extrem hohe Präzision auf wenige Zentimeter genau zu erreichen“, resümiert der Forscher. Der Zugriff auf drei globale Satellitennavigationssysteme (GPS, Galileo, GLONASS) macht dies möglich. Ein Vogel spart nur dann Energie, wenn er in einem bestimmten Abstand zum Vordermann fliegt und gleichzeitig seinen Flügelschlag exakt synchronisiert. Deshalb misst ein Bewegungssensor im Datenlogger permanent sowohl die Frequenz des Flügelschlags als auch die Position des Flügels. Um herauszufinden, wie viel Energie das Individuum dabei spart, wurde bei je vier Jungvögeln auch die Herzfrequenz über Elektroden gemessen. Um Herzfrequenz in Zusammenhang mit dem stoffwechselbedingten Energieverbrauch (Energieumsatz) setzen zu können, der über die Atemluft gemessen wird, war es nötig, diese beiden Werte unter Laborbedingungen zu kalibrieren. In einem eigens entwickelten Windkanal haben die „Zieheltern“ von vier separat aufgezogenen Jungvögeln dazu Daten gesammelt.
Im Zuge der beiden Migrationen entstand letztlich ein umfassender und neuartiger Datensatz, der derzeit analysiert wird. Das Team vermutet aufgrund von mathematischen Modellen, dass die Energieersparnis zwischen 15 und 30 Prozent beträgt, was speziell für unerfahrene Jungvögel mit niedrigerem Leistungsvermögen erheblich ist. Mithilfe dieser empirischen Datengrundlage kann die menschengeleitete Migration weiter verbessert und der Artenschutz von Zugvögeln optimiert werden.
Bleibt die Frage: Haben die Vögel dieses Verhalten in den Genen? Oder lernen sie die Kooperation durchs Tun? Offenbar ist Kooperationskompetenz ein Entwicklungsprozess: Die Forscher haben beobachtet, dass die Jungvögel bei den Trainingsflügen noch ein bunter Haufen waren. Als sie in Zugstimmung kamen, schienen sie den Ernst der Sache zu erkennen und begannen, in Formation zu fliegen. Mit jeder Flugetappe hat die Kooperation besser funktioniert.
Die menschengeführten Flüge bieten die einzigartige Möglichkeit für dieses Forschungsprojekt. Jeder Vogel trägt einen aerodynamisch optimierten High-Tech Datenlogger am Rücken.