Bislang unbekannte Augentrübung bei Waldrappen als Folge der GPS-Besenderung
Newsletter 22.10.2020
Jede Form der Besenderung oder Kennzeichnung von Wildtieren ist mit Kosten und Risiken für die Tiere verbunden. In einem jetzt kürzlich veröffentlichten Artikel (Download) beschreiben wir eine besonders ungewöhnliche Folge der GPS-Besenderung bei Waldrappen.
Seit 2014 verwenden wir GPS-Geräte in unserem Projekt. Anfangs waren alle Vögel mit batteriebetriebenen Geräten ausgestattet, die am unteren Rücken befestigt waren. Seit 2016 wurden immer mehr solarbetriebenen Geräten verwendet, die bevorzugt im oberen Bereich des Rückens befestig werden, da dies die sonnenexponierteste Position ist.
Während einem regelmäßigen Veterinärscreening im Jahr 2016 haben wir bei einem Vogel an einem Auge eine Trübung der Hornhaut bemerkt. In weiterer Folge trat dieses Symptom, das uns bislang völlig unbekannt war und auch in der Literatur nicht beschrieben ist, bei insgesamt 25 Vögel mit unterschiedlicher Intensität bis zur Erblindung auf. Bei allen bekannten Fällen trat die Augentrübung ausschließlich an einem Auge auf, weshalb wir dieses Phänomen als Unilateral Corneal Opacity (UCO) bezeichnen.
Umfangreiche klinische Untersuchungen ergaben keine eindeutige Ursache. Aber wir fanden eine unerwartete und erstaunliche Korrelation. Ausschließlich Vögel mit einem Sender am oberen Rücken zeigten diese Augentrübung, während Vögel, die den Sender am unteren Rücken trugen, keinerlei Symptome zeigten. Nachdem wir diesen Zusammenhang entdeckt haben, entfernten wir GPS-Geräte, die am oberen Rücken befestigte waren. Bei den betroffenen Vögeln verschwanden daraufhin die Symptome, sofern das Auge nicht schon irreversibel beschädigt war.
Der Zusammenhang zwischen UCO und GPS-Besenderung wird verständlich, wenn man das Verhalten der Vögel beobachtet. Waldrappe schlafen, wie viele andere Vogelarten auch, mit dem Kopf am Rücken. Dabei kommt ein Auge in unmittelbare Nähe zu einem GPS-Gerät, das am oberen Rücken befestigt ist. UCO scheint daher die Folge einer kumulativen Nahwirkung von Gerätekomponenten auf das betreffende Auge zu sein. Da die Hornhaut zu den thermisch empfindlichsten Geweben des Körpers gehört, vermuten wir, dass UCO die Folge elektromagnetische Strahlung ist, indem sie einen leichten Temperaturanstieg im Gewebe verursacht. Die Strahlung wird immer dann emittiert, wenn das Mobiltelefon-Modul des GPS-Gerätes die Positionsdaten übermittelt. Dieser Kausalzusammenhang ist eine Hypothese, die noch experimentell überprüft werden muss.
Inzwischen wurde UCO auch in der Spanischen Waldrapp-Population Proyecto eremita beobachtet, im genau selben Kontext. Wir gehen davon aus, dass auch besenderte Individuen anderer Vogelarten betroffen sind. Allerdings ist die Symptomatik schwierig festzustellen, da man die Tiere in freier Wildbahn kaum aus der Nähe beobachten kann. Generell stellen unsere Ergebnisse die Besenderung von Vögeln nicht in Frage. Aber die Augentrübung zeigt, dass ein umfassendes Monitoring von besenderten Tieren erforderlich ist und dass dabei auch auf scheinbar unzusammenhängende Symptome geachtet werden muss.
Derzeit tragen etwa 90% unserer Waldrappe GPS-Geräte, die alle am unteren Rücken befestigt sind. Diese Position ist für das Solarmodul nicht ideal, da es häufig von Flügelfedern abgedeckt wird und das GPS-Gerät somit nicht optimal geladen wird. Seit 2019 wurden bei unserer kontinuierlichen Überwachung keine neuen Fälle von einseitiger Augentrübung beobachtet.
Fritz J, Eberhard B, Esterer C, Gönner B, Trobe D, Unsöld M, Voelkl B, Wehner H & Scope A (2020): Biologging is suspect to cause corneal opacity in two populations of wild living Northern Bald Ibises. Avian Research 11:38, 1-9; DOI: 10.1186/s40657-020-00223-8; Download
Waldrapp mit Augentrübung; dieses Symptom ist in freier Wildbahn schwer zu beobachten. Vermutlich ist das auch der Grund, warum es bislang bei keiner anderen Vogelart beschrieben wurde. Foto: D Trobe