In Bewegung
Newsletter 26/11/2019
Auftakt zur Gründung einer neuer Brutkolonie
In diesem Jahr wurden erstmals 18 junge Waldrappe, die im Tierpark Rosegg in Kärnten aufgewachsen sind, mit GPS-Geräten ausgestattet und außerhalb der Voliere belassen; die restlichen Individuen dieser Zookolonie wurden wie üblich ab Ende September in die Voliere des Tierparks verbracht. Zu den Jungvögeln wurden fünf adulte, zugerfahrenen Waldrappe aus unserem Projekt dazugesetzt, in der Hoffnung, dass sie die Jungvögel in das gemeinsame Wintergebiet in der südlichen Toskana führen.
Das Verhalten diese Kärntner Gruppe wurde von uns mit besonderem Interesse beobachtet. Einerseits versuchen wir mit ihnen einen neuen methodischen Ansatz; andererseits ist ihr Verhalten während der Herbstmigration eine spannende Referenz zu jenem der Waldrappe nördlich der Alpen. Wir erwarteten eine überregionale Synchronizität in den Bewegungsmustern dieser Gruppen, wie das zuvor schon wiederholt beobachtet wurde. Übereinstimmend war bei den Gruppen beiderseits der Alpen bis in den November keine Zugmotivation zu beobachten. Seit einigen Tagen zeigten die Waldrappe nördlich der Alpen aber erste Flugbewegungen Richtung Süden und am 22. November machte erstmals eine größere Gruppe den Versuch, die Alpen zu überqueren. Widrige Wetterbedingungen in den Alpen und Südwind zwangen die Vögel aber zur Umkehr.
Gespannt warteten wir an diesem 22. November auf die Positionsmeldungen der Kärntner Vögel. Vorerst bewegte sich nichts, aber am Nachmittag flog ein Großteil der Vögel aus Ferlach ab. Sie querten die Karawanken beim Loiblpass und flogen bis an den Lido di Jesolo (22.11.: 180 km). Am nächsten Tag trennten sich die Gruppen. Eine Gruppe, bestehend aus drei Jungvögeln und zwei adulten Tieren, flog weiter bis an den Apennin nahe Arezzo (23.11.: 305 km) und erreichte am nächsten Tag das Wintergebiet (24.11: 170 km). Damit gelangen in diesem Jahr gleich zwei neue methodische Ansätze jeweils beim ersten Versuch. Im Juni war es der Transfer von zwei Brutpaaren samt Nest und Küken aus einer Kunstfelsnische in die Felswand am Georgenberg in Kuchl, Salzburg („nest transfer“). Und nun gelang die Vereinigung von Jungtieren mit zugerfahrenen Leitvögeln und die folgende Migration in das gemeinsame Wintergebiet („union“).
Diese erfolgreich angewandten Methoden sind von wesentlicher Bedeutung für die Fortführung unseres Projekts. Sie erweitern aber auch generell die Möglichkeiten für Artenschutzmaßnahmen bei Koloniebrütern und Zugvögeln. Eine Variante der „union“ wurde bereits 2010 unter Leitung von Mitgliedern unseren Teams nahe Palmyra in Syrien angewandt. Die drei dort verbliebenen wilden Waldrappe sollten drei Jungvögel aus einer türkischen Brutkolonie in das Wintergebiet in Äthiopien führen. Die Jungvögel folgten auch tatsächlich einem Leittier bis an die Grenze zum Jemen. Dort trennte sich die Gruppe. Man hätte auf diesem Teilerfolg aufbauen können. Das Projekt scheiterte aber letztlich an den äußerst schwierigen politischen, sozialen und ökologischen Bedingungen in den betreffenden Ländern. Die syrische Waldrapp-Population ist seit 2013 ausgestorben.
Die Synchronizität zwischen den unabhängigen Gruppen nördlich und südlich der Alpen belegt, dass die diesjährigen Verzögerungen beim Herbstzug kein zufallsbedingtes Fehlverhalten der Vögel sind, sondern das Resultat variabler äußerer Umstände. Das ist wohl eine der wichtigsten Erkenntnisse im Rahmen unseres Projekts. Wenn wir das Timing der Vögel in Zusammenhang bringen mit den überregionalen Wetterbedingungen und deren Folgen, dann werden wir das Zugverhalten der Waldrappe besser verstehen und können im weiteren Verlauf der Wiederansiedlung auch das Management nötigenfalls anpassen. Dass diese Synchronizität unter den Bedingungen unseres Projekts besonders gut zu beobachten ist, macht den Waldrapp zudem zu einer Zeigerart im Kontext des Klimawandels. Wir hoffen, dass die aktuell eintretende Wetterbesserung den verbleibenden Vögeln nördlich und südlich der Alpen die Möglichkeit bietet, ebenfalls noch vor einem dauerhaften Wintereinbruch den Flug in den Süden anzutreten.
Foto (AG Schmalstieg): Robigus, einer der Jungvögel nach der Ankunft im Wintergebiet.
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