Verzögerte Herbstmigration
Newsletter 15/11/2019
In den letzten Tagen kam es in Österreich zu einem heftigen Wintereinbruch. Dieser betrifft auch die Waldrappe aus den Brutgebieten in Burghausen und Kuchl, die sich noch großteils nördlich der Alpen aufhalten. Da die Temperaturen tagsüber meist deutlich über dem Gefrierpunkt sind und die Kaltwetterfront laut Prognosen auch bald wieder milderem Wetter weicht, sind die Vögel dadurch nicht akut gefährdet. Sie sind aktuell in guter Verfassung, Fütterungen sind nicht erforderlich.
An sich ist der Aufenthalt von Waldrappen nördlich der Alpen um diese Zeit nicht ungewöhnlich. Im vergangenen Jahr sind die letzten Vögel am 22. November in der Toskana angekommen. Ungewöhnlich ist aber, dass unsere Vögel im Oktober 2019 keine Anflüge Richtung Alpen gezeigt haben, wie das ansonsten ab zirka Mitte Oktober als Auftakt des eigentlichen Herbstzug der Fall ist. In weiterer Folge queren die Vögel dann in kleineren Gruppen die Alpen und fliegen meist in wenigen Tagen in die Toskana. 2014 zeigte sich ein vergleichbares Muster. Damals begannen die Vögel erst im Dezember mit Anflügen Richtung Alpen. Letztlich war das zu spät, um rechtzeitig einem heftigen und anhaltenden Wintereinbruch zu entgehen. Wir mussten die Vögel rasch einfangen, was bei der damals kleinen Population noch möglich war. So dramatisch ist die Situation in diesem Jahr zum Glück noch nicht. Trotzdem ist die Verzögerung für die Vögel gefährlich, insbesondere für die noch unerfahrenen Jungvögel.
Es ist von großer Bedeutung für den Erfolg des Projektes, die Gründe für diese Verzögerung zu verstehen. Allerdings ist die Steuerung des Herbstzuges einer der komplexesten Verhaltensabläufe bei Zugvögeln. Es ist ein Wechselspiel von inneren Zeitgebern, dem Wetter und sozialen Faktoren. Die Kenntnisse darüber sind generell noch sehr beschränkt.
Bei den europäischen Waldrappen beginnt die Herbstmigration jährlich um den 10. August. Zu dieser Zeit verlassen die Vögel die Brutkolonien und suchen gute Nahrungswiesen im Alpenvorland auf. IN diesem Jahr war das im Gemeindegebiet von Kuchl, südlich von Salzburg. Das änderte sich am 13. Oktober. Ab diesen Tag wechselten allmählich alle Vögel zum Flughafen Salzburg. Ebenfalls ab dem 13. Oktober begannen unsere subadulten Waldrappe im Wintergebiet von umliegenden Futtergebieten in das WWF Schutzgebiet zurückzukehrten, wo sie voraussichtlich den ganzen Winter verbringen (Video). Eine solche überregionale Synchronizität beobachten wir beim Herbstzug immer wieder.
Eigentlich hätten nach dem 13. Oktober die Anflüge in Richtung Alpen und damit der eigentliche Herbstzug beginnen sollen. Dass dies 2014 und 2019 nicht der Fall war, hängt vermutlich mit dem Wetter zusammen. 2014 wurde in Salzburg mit 12,6 °C einer der wärmsten Oktober-Mittelwerte in den letzten 248 Jahren gemessen, die Tagesmaxima lagen im Mittel 5,8°C über dem langjährigen Mittel. 2019 war der Oktober-Mittelwerte mit 12,2 °C etwas darunter, dafür lagen die Tagesmaxima im Mittel 6,4°C über dem langjährigen Mittel. In der zweiten Oktoberhälfte dieses Jahres häuften sich die Sommertage (Maxima > 25°C), was zuletzt 1989 gemessen wurde (siehe Graph).
Dargestellt ist die Abweichung der Tagesmaximalwerte vom langjährigen Mittel für Oktober 2014-2019. Deutlich sind die außergewöhnlich hohen Temperaturen in der zweiten Oktoberhälfte 2019 zu sehen.
Wir müssen davon ausgehen, dass derartige Wetterextreme infolge des Klimawandels immer häufiger auftreten. Das beeinflusst die äußeren Zeitgeber für die Zugvögel und kann zu Verzögerungen führen, was ein höheres Risiko und letztlich höhere Verlustraten zur Folge haben kann. Daran können wir als Waldrappteam kaum etwas ändern. Allerdings kommen andere Zugvogelarten mit den Folgen des Klimawandels bei der Herbstmigration offenbar besser zurecht. Wir gehen deshalb davon aus, dass auch noch andere Faktoren, die für unsere Waldrappe spezifisch sind, eine Rolle spielen. Insbesondere die Sozialstruktur unterscheidet sich bei einer noch relativ jungen, angesiedelten Population von einer Wildpopulation. Das wird sich sukzessive ändern und das können wir auch zum Teil beeinflussen, um das Zugverhalten der Waldrappe zukünftig stabiler zu machen.
Derzeit beobachten wir die Gruppe weiter und bereiten und darauf vor, im Bedarfsfall zeitgerecht einzugreifen.
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