Waldrappe im Windtunnel
Newsletter 17/09/2019
Vogelflug aus einer ganz anderen Perspektive: Vier Waldrappe, die aus dem Zoo Zürich stammen, wurden von Katharina Neugebauer und Frederik Amann aufgezogen. Ende Juli zogen die vier Vögel mit ihren Zieheltern nach Seekirchen am Wallersee in Österreich um. Dort ist seit Juli im aufgelassenen Stallgebäude der Familie Ackerl ein speziell an die Anforderungen der Waldrappe angepasster Windkanal aufgebaut.
Geplant und konstruiert wurde dieser an der Fachhochschule Joanneum in Graz unter der Leitung von Prof. Herwig Grogger. Der offene Windkanal hat eine Baulänge von 8,5 m, mit einer Austrittsöffnung von 2,5 mal 1,5 m. 8 Ventilatoren beschleunigen die Luft auf bis zu 55 km/h und fördern ein Luftvolumen von 205.000 m³ pro Stunde.
Wir verfolgen mit diesem Projekt insbesondere zwei Ziele: Erstens sollen im Windkanal Datennahmen im Rahmen des aktuell laufenden österreichischen Forschungsprojektes FWF P 30620-BBL stattfinden, um die Funktion und Energetik des Formationsfluge bei Zugvögeln zu untersuchen. Vorangegangene Untersuchungen (u.a. Portugal et al. 2014, Völkl & Fritz 2017) haben gezeigt, dass sich Waldrappe beim Formationsflug präzise koordinieren und so Energie einsparen können. Nun wollen wir herausfinden, wieviel Energie beim Formationsflug tatsächlich eingespart werden kann und wie dieses komplexe Sozialverhalten funktioniert. Dazu wurden während der menschengführten Migration 2019 in großem Umfang Daten gesammelt, die nun durch weitere Datennahmen im Windkanal ergänzt werden. Verantwortlich dafür sind die beiden PhD-Studentinnen Elisa Perinot und Ortal Rewald, die von Bernhard Völkl (Universität Bern), Leonida Fusani und Thomas Ruf (beide Veterinärmedizinische Universität Wien) betreut werden.
Die zweite Fragestellung ist wesentlich angewandter. Kürzlich war in einer renommierten ornithologischen Zeitschrift zu lesen, dass Untersuchungen über den schädlichen Effekt von an Vögeln angebrachten Sendern keine Ergebnisse gebracht haben, die Anlass zur Sorge geben. Das entspricht so gar nicht unseren Erfahrungen. Im Gegenteil, die von uns beobachteten, potenziell schädlichen Effekte sind vielfältig. Insbesondere werden nach unserer Erfahrung die aerodynamischen Kosten einer Besenderung oft grob unterschätzt oder ignoriert. Wir wollen diese Effekte im Windkanal messen und visualisieren, um sowohl die Gehäuseformen als auch die Positionierung der Sender am Vogelkörper zu optimieren. Diese Ergebnisse sind zum einen für die Wiederansiedlung der Waldrappe von großer Bedeutung. Sie sollen darüber hinaus aber auch helfen, negative Folgen der Besenderung bei Wildvögeln zu minimieren.
Warum wird diese Forschung gerade mit den Waldrappen durchgeführt? Weil sich beim Waldrapp im Rahmen der Wiederansiedlung - und neuerdings auch im Windkanal - weltweit einzigartige und ideale Rahmenbedingungen dazu bieten.
Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Datennahme ist, dass die Vögel im Windkanal entspannt und ohne Zwang fliegen. Das ist den beiden Zieheltern und Trainern Katharina und Frederik mit Unterstützung unserer ehemaligen Ziehmutter Corinna Esterer offensichtlich sehr gut gelungen. Die Vögel wirken beim Einzeltraining ganz entspannt und reagieren sehr gut auf die beiden Bezugspersonen. Das Training ist inzwischen schon gut fortgeschritten, wie in diesen Videosequenzen zu sehen ist. Anfang Oktober sollen die Datennahmen beginnen. Nach deren Abschluss im kommenden Jahr werden die vier Waldrappe als Teil der Brutgruppe in das Wiederansiedlungsprojekt integriert.
Foto: Frederik Amann und Katharina Neugebauer mit dem Waldrapp Nestroy im Windkanal. Im Hintergrund sind die acht großen Ventilatoren zu sehen. Sie beschleunigen die Luft auf bis zu 55 km/h; Waldrappe fliegen zwischen 40-50 km/h schnell.
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