Waldrapp in Tunesien
Newsletter 03/11/2015
Am 26. Oktober erhielten wir per E-Mail die Information, dass einer unserer Jungvögel, das Männchen Carlito, von einem pensionierten Polizisten in Tunesien eingefangen wurde. Der Vogel wurde etwa 300 km von der Nordküste entfernt im Inland Tunesiens in der Nähe des Bou-Hedma-Nationalparks aufgefunden.
Die Kommunikation gestaltete sich erst schwierig, konnte dann aber dank Rachele Trevisi auf Französisch fortgesetzt werden. Wir erhielten mehr und mehr Informationen als auch Bilder und Videos von Carlito. Schnell wurde klar, dass sich der Vogel in einem sehr schlechten Zustand befand. Beide Mittelfüße waren gebrochen und er hatte eine große Wunde am Bauch. Es stellte sich auch heraus, dass die veterinärmedizinischen Bedingungen leider unzureichend waren, um den Vogel erfolgreich zu behandeln. Deshalb entschlossen wir uns, nach Rücksprache mit unserer Projekt-Veterinärin Dr. Scope, Carlito einschläfern zu lassen.
Die Umstände von Carlitos Reise sind immer noch unklar. Laut seiner letzten GPS-Position befand sich das Tier am 19. Oktober noch in der WWF Oasi Laguna di Orbetello. Dann hörte der GPS- Sender aus noch unbekannten Gründen auf zu senden. Deshalb ist es uns bedauerlicherweise nicht möglich, den genauen Verlauf dieser Reise zu rekonstruieren.
Wir gehen davon aus, dass Carlito allein und selbstständig unterwegs war. Vielleicht erwischte er ungünstige Wetterbedingungen, wodurch er aufs offene Meer hinaus gelangte, die Orientierung zurück zum Wintergebiet verlor und einem internen Vektor folgend weiter nach Süden flog. Das alles ist selbstverständlich reine Spekulation. Wir sind uns aber sicher, dass diese Reise ohne eigene Intention durch äußere Faktoren verursacht wurde; bisher flog noch keiner unserer Waldrappe vom Wintergebiet weiter in den Süden (abgesehen von kurzzeitigen Ausflügen in die Gegend von Rom). Es scheint auch klar zu sein, dass die Reise kein adaptives Ziel hatte, denn Carlito befand sich auf direktem Weg in die Sahara. Außerdem sind die Ursachen für die schweren Verletzungen des Vogels noch unklar. Wir fragten eine Autopsie an, haben aber bislang noch keine Ergebnisse erhalten.
Ein positiver Aspekt dieses Ereignisses bleibt zum Schluss: Mit seiner Überquerung des Mittelmeers, als Jungvogel und wahrscheinlich als einzelnes Individuum, hat Carlito eine erstaunliche Leistung vollbracht.
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