Ende des «Experiments Shorty»
Newsletter am 23.02.2015
Am 7. Februar wurde Waldrappdame Shorty im Aargau bei Jonen eingefangen und in den Natur-und Tierpark Goldau gebracht. Sie war untergewichtig und hatte an beiden Flügeln eine kältebedingte Gewebsveränderung. Ansonsten ist Shorty wohlauf und wird nach entsprechender Behandlung wieder in die Waldrapp-Population des Europäischen Wiederansiedlungsprojektes integriert.
Fortan soll sie aber im Herbst daran gehindert werden, in die Schweiz zu fliegen. Stattdessen wird der Vogel in das adäquate Wintergebiet in der Toskana gebracht. Damit ist das ungeplante ‚Experiment Shorty‘ beendet, mit dem ohnehin nicht überraschenden Resümee, dass die Schweiz im Winter eben keinen geeigneten Lebensraum für Waldrappe bietet.
Das Weibchen Shorty erlangte in der Schweiz nationale Berühmtheit, seit sie im Herbst 2012 als Jungvogel während der Herbstmigration den Anschluss an einen zugerfahrenen Artgenossen verlor und alleine in der Schweiz am Zugersee überwinterte. Im Juli 2013 kehrte sie erwartungsgemäß an ihren Schlupfort Burghausen in Bayern zurück, wo sie wieder auf ihre Artgenossen traf. Im Herbst 2013 wurde sie von Projektmitarbeitern in das Wintergebiet in der Toskana gebracht und im Frühjahr retour nach Burghausen, wo sie, mit einem Sender ausgestattet, freigelassen wurde.
Statt aber mit den Artgenossen in die Toskana zu fliegen, kehrte Shorty am 16. Oktober 2014 neuerlich in die Schweiz zurück und hielt sich fortan wieder im Umfeld des Zugersees auf. Mittels eines GPS Senders waren ihre Aufenthaltsorte bekannt und konnten mit der App «Animal Tracker» von jedem Smartphone abgerufen werden. So war es Schweizer Waldrapp-Freunden möglich, den Vogel fast täglich zu besuchen. Wie schon zwei Jahre zuvor erwies sich Shorty als sehr anpassungsfähig. Bei tiefen Temperaturen suchte sie regelmäßig das klimatisch begünstigte Seeufer bei Risch auf.
Beim Kälteeinbruch im Februar ist Shorty aber bei Jonen geblieben, wo sie eingefangen wurde. Möglicherweise hatte sie zuletzt nicht zeitgerecht auf den Temperatursturz reagiert und war zu geschwächt, um sich selbst aus der Situation zu retten. Zusätzlich war ihre Flugfähigkeit eingeschränkt, da beide Flügel kältebedingte Entzündungen aufwiesen. Im Natur- und Tierpark Goldau wurde die Waldrappdame tiermedizinisch untersucht und versorgt. Sie erholt sich nun in der Krankenstation und Dr. med. vet. Martin Wehrle hofft, dass die Veränderungen an ihren Flügeln vollständig abheilen. Johannes Fritz, Manager des LIFE+ Wiederansiedlungsprojektes: «Shorty ist sicher eine ganz herausragende, pro-aktive Waldrapp-Persönlichkeit. Aber selbst für sie ist die Überwinterung in der Schweiz hochriskant. Waldrappe sind eben Zugvögel und an die tiefen Temperaturen nicht angepasst.»
Der Waldrapp ist eine der am stärksten bedrohten Zugvogelarten der Erde. Bis ins 17. Jahrhundert war er auch in Mitteleuropa heimisch, bis er durch übermässige Bejagung verschwand. Im Rahmen des von der EU co-finanzierten Artenschutzprojektes LIFE+ Resason for Hopemit acht Partnern aus Österreich, Italien und Deutschland soll der Waldrapp in Europa wieder als Zugvogel angesiedelt werden. Auch der Natur- und Tierpark Goldau und die Schweizer Zoovereinigung unterstützen das Projekt.
Eine Wiederansiedlung in der Schweiz ist nicht vorgesehen, vorerst. J Fritz: «Es ist gut möglich, dass Shorty zum Wegbereiter einer neuen Schweizer Waldrapp-Population wird. Lebensräume sind reichlich vorhanden. Das ‚Experiment Shorty‘ hat aber deutlich und wenig überraschend gezeigt, dass eine Überwinterung nördlich der Alpen nicht möglich ist. Deshalb gibt es unser Migrationsprojekt». Die Schweiz ist dank des Zürcher Naturwissenschaftlers Conrad Gesner (1516-1565) ein verbürgtes Brutgebiet für diese Ibisart.
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